Saga Grünwald: Der Traviandantus und der Klosterdrache
Bereits im letzten Band rund um den jungen englischen Traviandantus Alan Forester war klar, dass es schon bald ein neues großes Abendeuer zu bestehen geben würde. Zum Glück kann Alan dabei auf die Hilfe seines Onkels Cuthbert und seines neuen Freundes, des deutschen Traviandantus Johannes zählen, und natürlich ist auch Alans Freundin Joanne mit von der Partie. Bei der Gefahr, die es abzuwenden gilt, geht es um nichts weniger als Leben und Tod für die gesamte Menschenwelt. Denn ein böser walisischer Traviandantus plant, wie die Wesen der Anderwelt Alan und seinen Freunden verraten haben, deren Vernichtung. Wie sie dieser Gefahr begegnen und das geheimnisvolle Tor finden können, durch die die Teufelsgreife, todbringende Wesen, die mit ihrem höllischen Feuer alles vernichten, eindringen sollen, ist eine von vielen Fragen, die die vier beschäftigt. Glücklicherweise verfügt jeder der drei Traviandanti über eigene besondere Fähigkeiten, aber auch Joannes Mut und ihre Liebe zu Alan tragen ihren Teil dazu bei, dass die bis zum Schluss hochspannende Geschichte am Ende gut ausgeht. Saga Grünwald verwebt auch in diesem Roman Menschen und Anderwelt miteinander und macht so ein geheimnisvolles Lichtnetzwerk erfahrbar, das Alan als Traviandantus wahrnehmen kann. Für ihn sind Waldelfen, Feen oder der Pegasus, jenes leuchtend schöne Pferd, mit dem man sich in die Lüfte schwingen kann, ebenso sichtbar wie für Cuthbert und Johannes, der sogar die Gabe hat, mit Drachen zu kommunizieren. Auch Joanne kann sie sehen, weil Alan sie regelmäßig in die Anderwelt mitnimmt. Die Lektüre ist, wie bei jedem Band der Reihe, von Anfang an faszinierend und man legt das Buch nur äußerst ungern aus der Hand, um sich mit ablenkenden Nebensächlichkeiten wie Essen, Schlafen oder der Arbeit zu befassen. Der Traviandantus ist mehr als eine gut ausgedachte Figur in einer (literarischen) Welt, die mehr und mehr aufgeschlossen für das ist, was man mit den Augen der Seele zu sehen vermag. Er eröffnet vielmehr einen Erfahrungsraum für die lichte Wirklichkeit, die gemeinsam mit jener, die die „normalen“ Menschen wahrnehmen, ein Ganzes bildet. Dass das Leben in beiden Welten Gefahren birgt und auch traurige Ereignisse mit sich bringt, leuchtet ein. Aber genau diese Erlebnisse lassen Alan zum Mann reifen, auf den – hoffentlich bald schon lesbare – neue Abenteuer warten.
Custos Verlag, Solingen 2023, 370 S., ISBN 978-3-943195-31-6, 14,00 €.
Ruth Kornberger: Frau Merian und die Wunder der Welt
Maria Sibylla Merian ist eine starke, eine faszinierende Frau. Im 17. Jahrhundert aus einer Nürnberger Patrizierehe auszubrechen, um frei die eigenen Ambitionen zu verwirklichen, ist eine mutige und ungewöhnliche Entscheidung. Maria trifft sie und schließt sich – gesellschaftlich gerade so akzeptiert – der protestantischen Gemeinschaft der Labadisten an, in der sie gemeinsam mit ihren beiden Töchtern leben, forschen und malen kann. Doch auch bei den frommen Brüdern und Schwestern wird ihr die Luft bald zu dünn, die Grenzen zu eng und sie geht nach Amsterdam, um wieder einmal ganz von vorne anzufangen. Dass sie dort zunächst darum werben muss, talentfreien Bürgertöchtern das Malen beizubringen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren und kaum Zeit findet für das, was sie einmal den ganzen Tag zu tun geträumt hatte, gehört zu den Risiken und Nebenwirkungen von Scheidungsgeschichten. Aber Maria Merian ist hartnäckiger als viele und so gelingt es ihr nicht nur, eine neue, aufregende Liebe zu erleben, sondern auch nach Surinam zu gelangen, jenes geheimnisvolle Land, in dem sie tatsächlich so viele wundervolle Lebewesen entdeckt und schließlich für ihre Arbeit auch in den Niederlanden jene Anerkennung findet, nach der sie sich immer gesehnt hat. Ruth Kornbergers Erstling bietet ein farben- und detailreiches Porträt Maria Sybilla Merians und ihrer Zeit und vermittelt einen guten Eindruck der Lebenswelt und Denkgewohnheiten einer Epoche, die unserer in vielem ähnlich und doch so verschieden ist.
C. Bertelsmann, Gütersloh 2021, 527 S., ISBN 978-3-570-10430-9, 24,54 €.
Oliver Hilmes: Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre
Wir schreiben das Jahr 1932. In der Reichhauptstadt Berlin ist es unruhig. Aber noch scheinen nur wenige zu ahnen, was in Gestalt der aggressiv auftretenden Nationalsozialisten auf sie zukommt, denn die meisten Menschen sind weit mehr mit sich und ihrem kleinen Alltag beschäftigt. Der läuft weitgehend wie gewohnt. Auch bei Dr. Mühe und seiner Gattin, die ihre Tage damit verbringt, ihren heimlichen Liebhaber, den Gesanglehrer Rasch, zu empfangen, während ihr Mann – ebenso geheim und für viel Geld – Abtreibungen vornimmt. Dass er und seine Frau nur noch wenig miteinander gemeinsam haben, scheint beide aber wenig zu stören und so ist Frau Mühe ungeachtet eines abendlichen Streits, nach dem ihr Mann noch einmal zu einem Krankenbesuch aufbricht, erstaunt, als er am nächsten Morgen noch nicht zurückgelehrt ist. Warum Dr. Mühe verschwand, weshalb er, was seine Frau mehr zu entsetzen scheint, als das Verschwinden ihres Ehemannes, das gemeinsame Konto geleert hat, erschließt sich weder seinem Umfeld noch Kriminalkommissar Keller, der im Fall des Vermissten ermittelt. Das Verschwinden des Dr. Mühe ist ein realer Fall. Einer jener klassischen cold cases, die nie aufgeklärt wurden. Und genau dies hat das Interesse von Oliver Hilmes erregt. Was wäre, wenn er im Rahmen einer Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre eine Lösung anbieten könnte? Sein neuer Roman tut genau dies. Hilmes lässt Kommissar Keller den Fall bearbeiten und schaut ihm dabei gewissermaßen über die Schulter. Die einzelnen Kapitel des in sehr ruhigem Tempo geschriebenen Buches machen jeweils die Sicht einer der beteiligten oder im Umfeld des Dr. Mühe lebenden Personen deutlich. Die Lösung, die Hilmes im Verlauf der sich stetig entwickelnden Aufklärung anbietet, ist interessant. Seine Idee: Dr. Mühe und seine Frau planten einen Versicherungsbetrug. Aber der scheinbar so ehrenwerte Arzt spielte mit falschen Karten, denn er nahm nicht nur das gesamte Barvermögen an sich, er behandelte auch seine nierenkranke Frau nicht, sodass sie kurze Zeit nach seinem Verschwinden starb. Später findet seine Schwester, die die Suche nie aufgegeben hat, den Arzt in Spanien im Umfeld einer Gruppe von unbelehrbaren Nationalsozialisten. Ein offenes Ende – passend für einen nie gelösten Fall. Ein interessantes Konzept, spannend zu lesen und mit genug Tiefenschärfe in der Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, um den Intellekt zu erfreuen. Und als Sahnehäubchen regelmäßig passende Zitate von Seneca. Kurz: sehr empfehlenswert.
Penguin Verlag, München 2020, 236 S., ISBN 978-3-328-60138-8, 20,00 €.
Rydahl & Kazinkski: Die tote Meerjungfrau
Hans Christian Andersen ist an einem Wendepunkt seines Lebens angekommen und es ist definitiv kein guter. Seine Hoffnungen, sich als Schriftsteller einen Namen zu machen, scheinen mittlerweile nicht nur dem zurückgezogen bei Freunden lebenden Autor selbst, sondern auch seinen zunehmend ungeduldig werdenden Gönnern vergeblich zu sein. Und dann wird der junge Mann auch noch wegen des Mordes an einer Prostituierten verhaftet. Dass er sie weder ums Leben gebracht noch ihre Dienste in jener Weise in Anspruch genommen hat, die man von einem solchen „Geschäft“ erwartet, will ihm keiner abnehmen. Und diejenigen, die ihm glauben, wie die Schwester und Kollegin der Ermordeten, finden die Tatsache, dass Andersen während der Stunden, die er mit Anna verbracht hat, Scherenschnitte von ihr anfertigte, eher beunruhigend. Sie glaubt zunächst selbst noch fest an die Schuld Andersens und lässt sich nur langsam vom Gegenteil überzeugen. Dann aber beginnen die beiden im Kopenhagen des Jahres 1834 zu ermitteln und stoßen dabei auf eine Geschichte, die dem Leser bei der Lektüre dank ihrer Grausamkeit, ihrer Dunkelheit und ihres offenkundigen Irrsinns tief in die Glieder fährt. Ob Hans Christian Andersen, Molly und ihre kleine Tochter, die die Helden dieser Geschichte sind, wirklich jemals in einem Mordfall ermittelt haben, wissen wir nicht. Es könnte aber sein. Denn das Autorenduo Rydahl und Kazinski nutzt eine Lücke in den akribischen Tagebuchaufzeichnungen Hans Christian Andersens, in der dieser lesenswerte Kriminalfall sich tatsächlich hätte ereignen können. Für Krimifans, die Freude an düsterem skandinavischen Flair haben, ein absolutes Muss.
Droemer Verlag, München 2020, 445 S., ISBN 978-3-426-28231-1, 14,99 €.
Uwe Klausner: Die Krypta des Satans
Wir schreiben das Jahr 1424. Bruder Hilpert muss auf Weisung seines Abtes wieder einmal seinen ruhigen Posten als Bibliothekar verlassen und sich in die Niederungen menschlicher Unzulänglichkeiten begeben, deren es im Kloster Frauental leider eine nicht unbeträchtliche Menge gibt. Der ursprünglich als Visitation geplante Besuch entwickelt sich zu einer veritablen Mordermittlung und manch einer wähnt gar, dass hier auch der Teufel seine Finger im Spiel habe. Ob es dem klugen Inquisitor und Ermittler gelingen wird, die Fäden zu entwirren und den wahren Täter zu ermitteln, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Bruder Hilperts wacher Blick für die charakterlichen Eigenschaften seiner Mitmenschen ist so scharf wie eh und je und dabei achtet der Zisterzienser nicht auf Standesgrenzen, sodass der wache Verstand der jungen Laienschwester Luzia Magdalena die ihm gebührende Aufmerksamkeit bekommt und die leitungsschwache und überforderte Äbtissin keine Chance hat, das, was ihr an Geistesgaben fehlt, durch Arroganz auszugleichen. Wie immer bietet Uwe Klausner uneingeschränktes Lesevergnügen und gibt durch die abwechslungsreiche Form der Darstellung mit Wechseln aus Einblicken in das Geständnis der Täterin, die Annalen des Klosters und das Memorandum den einzelnen Personen eine Stimme. Fazit: Auch diesen Fall Bruder Hilperts sollte man sich nicht entgehen lassen.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2020, 364 S., ISBN 978-3-83922555-4, 13,00 €.
Harry Bingham: Fiona. Das tiefste Grab
Das darf doch wohl nicht wahr sein. Da wird in dem beschaulichen Polizeibezirk, in dem Fiona Griffith tätig ist, nicht nur eine Archäologin enthauptet und mit drei Speeren in der Brust plakativ drapiert, es kommt noch ein weiterer Forscher zu Tode. Und nicht erst nach der dann noch erfolgten Geiselnahme im Museum von Cardiff hat dieser Fall der jungen, mit besonderen Fähigkeiten ausgestatteten Frau einen historischen Touch. Denn alle Vorfälle haben offenbar mit dem geheimnisvollen Schwert von König Artus zu tun. Wenn Excalibur wirklich bei der Ausgrabung zutage getreten wäre, würde es sich natürlich um ein Millionengeschäft handeln. Aber ist das auch der Fall? Fiona ist gefragt. Auch dieser Fall der neue Krimiserie von Harry Bingham, die in England schon lange Bestsellerstatus hat und inzwischen verfilmt wurde, ist hochspannend und psychologisch subtil gezeichnet. Nicht ohne Grund, denn wie schon in den vorherigen Bänden spielt nicht nur die junge Ermittlerin selbst, sondern ihre besondere psychische Konstitution eine Hauptrolle: Fiona Griffiths ist am Cotard Syndrom erkrankt. Die Betroffenen leiden unter der wahnhaften Wahrnehmungsstörung ihrer gesamten Existenz. Das kann bedeuten, dass sie glauben, tot zu sein, zu verwesen, ihr Blut oder ihre inneren Organe verloren zu haben. Fiona hat ihre Krankheit erstaunlich gut im Griff. Und sie nutzt ihre bemerkenswerte Intuition dafür, auf oft ungewöhnlichen Wegen Licht in das Dunkel ihrer Fälle zu bringen. Eine fesselnde Lektüre, nicht nur dann, wenn es um König Artus geht.
Rororo, Hamburg 2019, 541 S., ISBN 978-3-499-27509-8, 10,00 €.
Astrid Fritz: Die Tote in der Henkersgasse
Serafina hat sich in ihrem neuen Leben mit Adalbert Achaz, dem Freiburger Stadtarzt eingerichtet. Ganz buchstäblich, denn ihr Ehemann liebt sie nicht nur, er ist auch klug genug, ihr mit ihrer Armenapotheke, für die er extra ein großes Ladenfenster hat einbauen lassen, durch das die Patienten unkomplizierten Zugang zu Serafinas Beratungen und Rezepten haben, ein Handlungsfeld zu eröffnen, das sie hoffentlich davon abhält, weiterhin ihre Nase in alles hineinzustecken, was nach Verbrechen riecht. Aber Serafina kann wie die sprichwörtliche Katze das Mausen in Sachen Kriminalistik natürlich nicht lassen und so lässt sie sich auch diesmal die Gelegenheit nicht entgehen, als ihre ehemaligen Beginenschwestern den Ehemann einer ermordeten jungen Frau aufsuchen, um mit ihm zu beten, die eine oder andere vorlaute Frage zu stellen. Dass die Aufklärung des Verbrechens diesmal eine besonders persönliche Komponente bekommt, hat damit zu tun, dass Serafinas Bruder Peter plötzlich in der Stadt auftaucht. Obwohl er sie damals schmählich im Stich gelassen hat, nimmt sie ihn mit in ihr Haus und ihr Mann unterstützt den scheinbar ohne eigene Schuld in Not Geratenen großzügig, nur um sich wenig später mit der bösen Erpressung konfrontiert zu sehen, dass Peter Serafinas Vergangenheit als Prostituierte öffentlich machen will. Ob Adalbert, Serafina und die Magd Irmla, die sich inzwischen mit ihrer neuen Herrin angefreundet hat und sie sogar bei ihren Ermittlungen unterstützt, sich aus dieser Schlinge herauswinden können und Serafina die drohende Schließung ihres Apothekenfensters verhindern kann? Lesen Sie selbst, es lohnt sich wie immer, wenn es heißt: Serafina ermittelt.
Rororo, Hamburg 2019, ISBN 978-3-499-27654-5, 9,99 €.
Nancy Springer: Der Fall des verschwundenen Lords. Ein Enola Holmes Krimi – Der Fall der linkshändigen Lady. Ein Enola Holmes Krimi – Der Fall der verhängnisvollen Blumen. Ein Enola Holmes Krimi – Der Fall des geheimnisvollen Fächers. Ein Enola Holmes Krimi
Enola Holmes ist zufrieden mit ihrem Leben. Auf dem Gut ihrer Familie genießt sie alle Freiheiten und sie kommt, wie ihr rückwärts gelesener Name es trefflich zum Ausdruck bringt, gut allein zurecht. Ihre beiden berühmten Brüder Mycroft und Sherlock hat sie seit zehn Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen, genau genommen seit dem Tag, an dem ihr Vater beerdigt wurde. Doch exakt an ihrem 14. Geburtstag zerbricht ihre wohlgeordnet regellose Welt in tausend Stücke, als ihre Mutter vollkommen unangekündigt auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Es muss sich um einen Unglückfall handeln, denken alle, auch die Brüder, die umgehend aus London anreisen. Doch dann wird schneller, als es allen lieb sein kann, einiges sonnenklar. Eudoria Vernet Holmes hatte ihre Söhne nicht ohne Grund aus ihrer Nähe verbannt, denn nicht nur sie, auch das regelmäßig von Mycroft überwiesene Geld war verschwunden und von dem Personal, das angeblich jahrelang damit bezahlt worden war, fehlte jede Spur. Und als ob all das noch nicht genug wäre, beschließen die Brüder kurzerhand, Enola müsse entgegen dem Wunsch ihrer für Frauenrechte eintretenden, Korsette, Popolster und anderen weiblichen Schnickschnack strickt ablehnenden Mutter in ein Internat gesteckt werden, um eine feine Dame aus ihr zu machen. Doch die kleine Schwester der beiden Holmes-Brüder ist keineswegs mit dem von ihnen postulieren schwachen weiblichen Geist geschlagen, sondern vielmehr ebenso findig, wenn es darum geht, ausweglose Fälle zu lösen. Und deshalb beginnt sie mit ihrem eigenen, entschlüsselt den Code, der in dem selbstgebundenen Buch niedergeschrieben ist, das ihre Mutter ihr zum Geburtstag hinterlassen hat und findet nicht nur heraus, dass Eudoria ihre Freiheit und ihr Glück genießt, sondern auch die nicht unbeträchtliche Geldsumme, die sie ihrer Tochter hinterlassen hat, damit die ihr eigenes Glück machen kann. Anstatt ins Internat reist Enola deshalb nach London, löst den Fall des verschwundenen Lords und ist dann bereit für die Abenteuer des Lebens. Im zweiten Band eröffnet Enola ihre eigene Detektei, natürlich nicht unter ihrem Namen, sondern unter dem des schwer erreichbaren Dr. Ragostin, als dessen Sekretärin sie sich ausgibt. Und es dauert gar nicht lange, bis sie dank des geheimnisvollen Verschwindens der jungen Adeligen Cecily einen veritablen Fall zu lösen hat. Welchen Scharfsinn sie dabei zeigt, welche Gefahren sie eingeht und ob es dem unermüdlich nach ihr suchenden Sherlock gelingen wird, sie wieder auf die gerade gesellschaftliche Bahn zu setzen, lest Ihr am besten selbst, es lohnt sich. Genau wie die Lektüre von Band drei, in der niemand anders als Sherlocks Freund Dr. Watson verschwindet. Dass der kluge und mitfühlende Arzt ausgerechnet von einer rachsüchtigen, aber leider geistesgestörten Patientin überlistet, entführt und unter fremdem Namen in eine psychiatrische Anstalt gesperrt wird, findet nicht einmal Sherlock heraus. Aber Enola gibt nicht auf, bis sie auch dieses Rätsel gelöst hat, was ihr sogar ein Lob ihrer beiden beeindruckten Brüder einbringt, die wohl langsam einsehen, dass es mit einer Einweisung Enolas in ein Internat in diesem Leben nichts mehr wird. In Band vier trifft Enola unverhofft Cecily wieder, die junge und eigenwillige Lady, die sie schon einmal aus ihrer Not befreit und. Das ist ein Glück, denn tatsächlich ist Cecily erneut in Konflikt mit ihren standesbewussten Eltern geraten und nun in der Gefahr, an einen fiesen und unsympathischen jungen Mann verheiratet zu werden. Keine Frage, dass Enola da eingreifen muss. Und natürlich geht es auch diesmal nicht nur um die Freiheit der anderen, sondern auch um ihre eigene, die zu bewahren der inzwischen fast 15jährigen Ermittlerin so wichtig ist, dass sie sich nicht scheut, ihren Bruder Mycroft kräftig ins Schienbein zu treten, als es ihm beinahe gelingt, ihrer wieder habhaft zu werden. Sherlock hingegen zieht sie magisch an und es kostet sie eine Menge Energie, um seinem Charme nicht zu erliegen, als sich ihre Wege im Fall des geheimnisvollen Fächers kreuzen.
Mit dem Start auf Netflix ist es höchste Zeit für alle, die die Abenteuer der Holmes-Schwester noch nicht kennen, Enolas Ermittlungsspuren zu folgen. Die Serie ist hinreißend geschrieben, Spannung und Atmosphäre garantiert – eine perfekte Zeitreise ins 19. Jahrhundert, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Knesebeck Verlag, München 2019, ISBN 978-3-95728-260-6 / 978-3-95728-261-3 / 978-3-95728-262-0 / 978-3-95728-263-7 / 16,00 €.
Robyn Young: Der Hof der Wölfe
Geschwister können beides sein, ein unschätzbarer Gewinn und eine lebenslange Plage. Bei Jack und Harry, die einen gemeinsamen Vater, aber verschiedene Mütter haben, ist letzteres der Fall. Die beiden sehen sich gleichermaßen auf der Verlustseite, was die Liebe und Aufmerksamkeit ihres Vaters angeht, der sich nicht nur in seinem Dienst für den englischen König, sondern auch in der Sorge für seine beiden Frauen und Kinder aufrieb. Der Rest ist Geschichte, könnte man sagen, denn beide Männer werden – wie so viele Menschen – von genau dieser Sehnsucht nach Liebe getrieben und tun auf dem Weg vieles, was mit Liebe nicht das Geringste zu tun hat. Jack, der von seinem Vater eine geheimnisvolle Karte bekommen hat, macht sich auf nach Florenz, um von Lorenzo de Medici, der wie die Nadel eines Kompasses in der Mitte eines weitgespannten Netzwerkes steckt, Antworten auf Fragen zu erhalten, die ihm, wie er am Ende erkennt, nur sein eigenes Herz geben kann, in dem er sie schon lange mit sich trägt. Harry hingegen rackert sich ritterlich im Dienst des Königs ab, von dem er sich jene Anerkennung erhofft, die er bei seinem Vater vermisst hat. Das opulente Setting des Romans in jener Zeit, in der Christoph Columbus zu neuen Ufern aufbrechen will, was einige ärgert, andere anregend, wieder andere gewinnbringend finden, bietet den passenden Hintergrund für die zahlreichen persönlichen Lebensgeschichten der fein gezeichneten Figuren, ihr Mit- und Gegeneinander, das auch dank der zwischen den verschiedenen Personen und Handlungsebenen hin und her wechselnden Erzählstrategie niemals langweilig wird. Dass man sich am Ende des Buches eine Fortsetzung wünscht, trifft sich gut. Es gibt sie. Aber davon werden wir in einer anderen Rezension berichten.
Blanvalet Verlag, München 2019, 602 S., ISBN 978-3-7341-0446-6, 12,99 €.
Silvia Stolzenburg: Die Salbenmacherin und der Engel des Todes
Olivera erwartet die Geburt ihres Kindes. Aber ihre Freude wird überschattet durch den letzten Brief ihrer geliebten Großmutter aus Konstantinopel, in dem sie ihren nahen Tod ankündigt. Nürnberg erscheint ihr, der nicht nur vom neidischen Medicus der Stadt angefeindeten Apothekerin, die so viele bemerkenswerte Rezepte aus ihrer medizinisch weit fortschrittlicheren Heimat Byzanz mit nach Deutschland gebracht hat, noch kälter als zuvor, wäre da nicht Götz, dessen Liebe nicht nur ihr Herz wärmt. Doch kaum hat Olivera ihren Lebensmut wiedergefunden, bringt eine Reihe seltsamer Todesfälle im Spital erneut Unruhe in ihr Leben. Und auch ein Einbruch, das Verschwinden von Casper und Jonas‘ seltsames Verhalten machen den Eheleuten Sorgen. Zurecht, denn hinter all den seltsamen, scheinbar unzusammenhängenden Vorgängen steckt ein äußerst finsterer Plan. Und Götz bereut schon bald bitter, dass er seinem Ehrgeiz nachgegeben und sich um einen der begehrten Plätze im Nürnberger Stadtrat beworben hat. Auch der neue Kriminalroman aus der Serie rund um Olivera bietet wieder eine perfekte Mischung aus spannendem Lesevergnügen und unterhaltsamem Lernen. Man erfährt nicht nur eine Menge über das auch schon im Mittelalter reichlich missbräuchliche Verhalten mancher Priester, sondern auch über die Heilkraft der verschiedenen Kräuter und ihre Anwendung. Schön, dass auch der grundehrliche, redliche und mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattete Henker Jakob wieder mit von der Partie ist. Seine fein gezeichnete Figur korrigiert manch holzschnittartige Darstellung der Mitglieder dieses Berufsstandes. Fazit: Toller Roman, man freut sich schon auf das nächste Abenteuer von Olivera und Götz.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2019, ISBN 978-3-8392-2423-6, 15,00 €.
Saga Grünwald: Die Lanze der Königin
Boudiccas Grab zu finden ist der Traum jeder Archäologin. Kein Wunder also, dass Jocasta Loomis begeistert ist, als ein ehemaliger Kollege von der archäologischen Abteilung der Universität Norwich ihr davon erzählt. Und nicht nur das: Er bietet ihr sogar an, bei den Ausgrabungen dabei zu sein. Natürlich stimmt Jocasta zu, denn sie ist gerade auf der Suche nach einem neuen Job. Aber schon bald legen sich Schatten über das scheinbar so strahlkräftige Projekt, als die berühmte Lanze der Königin aus der Universität gestohlen wird. Kann Edward Colegate, ihr ehemaliger Chef, dahinterstecken? Jocasta vertraut auch in diesem Fall wieder auf ihren Freund, den Keltologen und Druiden Gwydion. Eine wie immer lesenswerte Fortsetzung der Reihe rund um die deutsch-englische Archäologin.
Custos Verlag, Solingen 2018, 331 S., ISBN 978-3-943195-22-4, 13,90 €.
Saga Grünwald: Der geraubte Kelch
Magisch-mythische Welten voll zauberhafter Wesen, aber – denn sonst wäre die Zeit- und Raumreise nicht halb so abenteuerlich und spannend – natürlich auch mit dunklen Ecken und gefährlichen Drachen entfaltet Saga Grünwald in den drei Erzählungen, die in diesem kleinen, aber feinen Band versammelt sind. Der Leser fiebert mit Königin Hlodyn, die König Fjorgyn, den sie von ganzem Herzen liebt, aus der Gewalt des kleinen, aber machtvollen Zwergenvolkes befreien will, was nur gelingen kann, wenn sie Volla findet, jenen geheimnisumwobenen Kelch, dessen Raub unbedingt rückgängig gemacht werden muss, um das Leben der Königin wieder ins Lot zu bringen. Und auch in „Tanz mit dem Tod“ und „Der Fürst der Krähen“ webt Grünwald dank ihrer poetisch verdichteten Sprache zauberhafte Welten rund um den grauen Alltag. Kein Wunder, dass man ihre Bücher gerne liest.
Custos Verlag, Solingen 2018, 67 S., ISBN 978-3-943195-20-0, 6,50 €.
Eva Völler: Tulpengold
Wir schreiben das Jahr 1636. Für Pieter, der nach dem Tod seines Vaters als Waise zurückgeblieben ist, beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Auf Wunsch seines Vaters bringt sein Pate ihn nach Amsterdam, wo er in der Werkstatt des berühmten Malers Rembrandt van Rijn eine Lehre beginnen soll. Noch bevor die beiden ihr Ziel erreichen, werden sie auf dem Marktplatz der Stadt Zeugen eines Todesfalles, bei dem es offensichtlich nicht mit rechten Dingen zugeht. Pieter ist ein genauer Beobachter und er verfügt über ein nahezu lückenloses Gedächtnis. Wie bei allem, was ihm begegnet, speichert er die Vorgänge ab und vergleicht sie später minutiös mit den Todesfällen, die sich schon bald nach und nach ereignen werden und deren Opfer eines gemeinsam haben: Sie sterben an einer Bleivergiftung und sind Kunden seines neuen Lehrherrn. Dass der Verdacht auf Rembrandt und seine junge schöne Frau fällt, folgt den Gesetzen der Logik, die für Pieter so wichtig sind. Aber ihnen zufolge könnte es auch andere Täter geben. Und so tut der junge Mann, was er schon immer getan hat, wenn er im Leben vor einem Rätsel stand. Er vergleicht die Fakten miteinander und berechnet die Wahrscheinlichkeit der daraus möglicherweise folgenden Ergebnisse. Genau diese Technik wendet er auch noch auf ein anderes Phänomen an, den expandierenden Tulpenhandel, der die Stadt Amsterdam wie ein Fieber befällt und in eine Spekulationsbörse verwandelt, deren Gefahren Pieter ebenso erkennt und berechnet. Das Einzige, was auf mathematischem Wege schwer zu ermitteln ist, sind die Gefühle, die ihn im Hinblick auf die jungen Frauen in seinem Umfeld bewegen. Sie zu deuten und darauf adäquat zu reagieren, ist genauso eine Herausforderung, wie Gesichtsausdrücke zu deuten und andere als vollkommen logische und ehrliche Antworten zu geben. Aber Pieter lernt schnell, auch, weil er in seinem neuen Umfeld Freunde findet, die seine Geradlinigkeit schätzen. Mit Pieter hat Eva Völler einen künstlerisch und mathematisch gleichermaßen begabten jungen Ermittler kreiert, dessen Fähigkeiten ebenso faszinierend sind wie sein Wesen, dessen Merkmale man heute als Aspergersyndrom diagnostizieren würde. Der Roman ist mitreißend geschrieben, verlockt immer wieder neu zum Weiterlesen und ist ebenso unterhaltsam wie lehrreich. Von Pieter würde man sehr gerne mehr lesen.
Lübbe Verlag, Köln 2018, 276 S., ISBN 978-3-431-04084-5, 16,90 €.
Philippa Gregory: Um Reich und Krone. Das Erbe der Tudors
Philippa Gregory hat zweifellos ein Händchen für differenzierte Frauengestalten. Deshalb ist ihr neuer Roman ein Highlight in der Tudorserie der auf das englische Königshaus spezialisierten Autorin historischer Romane. In ihm kommen die drei Schwestern Jane Grey, Katherine und Mary, die jede auf ihre Weise in Konflikt mit der zunächst hintangestellten und dann übermächtigen Elisabeth standen, zu Wort. Den drei Schwestern entsprechen drei Teile des Buches, beginnend mit der Sicht von Jane, der Neun-Tage-Königin, die Trost in ihrem Glauben sucht, während sich Katherine, der der zweite Teil des Romans gewidmet ist, den irdischen Freuden hingibt. Auch für Mary ist die Liebe das große Thema ihres Lebens und allen dreien wird ihre Sehnsucht danach zur Falle – was, wie Gregory unmissverständlich klarmacht, der neidischen, verhärmten und machthungrigen Königin geschuldet ist. Wie alle Tudor-Romane ist auch der vorliegende ebenso farben- wie facettenreich geschrieben und pures historisches Lesevergnügen.
Rororo, Hamburg 2018, 602 S., ISBN 978-3-499-27460-2, 10,99 €.
Philippa Gregory: Wolfsschwestern. Das Erbe der Tudors
Philippa Gregory kennt sich wie kaum eine andere Autorin historischer Romane in der Tudorzeit aus und hat eine unnachahmliche Gabe, die handelnden Persönlichkeiten des Herrscherhauses lebendig werden zu lassen. In „Wolfsschwestern“ verleiht sie Katharina von Aragon und Margaret Tudor eine Stimme, deren Schicksale so unterschiedlich sind wie ihre Verbindung stark. Ein eindeutiges Plus an Gregorys Darstellung der Katharina von Aragon ist, dass sie in ihrer Geschichte nicht nur die arme verlassene Ehefrau, das Opfer von Heinrichs ungebremster Lust und Machtpolitik ist, sondern handlungsstark, mitunter auch grausam. Ihre Geschichte wird im Spiegel ihres überwiegend brieflichen Kontaktes mit Margaret erzählt, deren Schicksal als schottische Königin hier entfaltet wird. Fazit: Wie immer bei Gregory ein Pageturner, den man nur ungern aus der Hand legt.
Rorooro, Hamburg 2017, 651 S., ISBN 978-3-499-29115-9, 10,99 €.
Heidi Rehn: Das Haus der schönen Dinge
Heidi Rehn ist spezialisiert auf farbenprächtige Gesellschaftsromane. So taucht man auch in ihrem „Haus der schönen Dinge“ nicht nur in das Kaufhaus Hirschvogl am Rindermarkt, sondern in die 100 Jahre währende und drei Generationen umfassende Geschichte einer jüdischen Kaufmannsfamilie ein, die als königlich bayerische Hoflieferanten niemals einen Gedanken daran verschwendet hätte, dass sie einmal als verfemte Fremde im eigenen Land gelten würden. Doch die Mitglieder der Münchener Gesellschaft, die die Familie Hirschvogl einst als eine der ihren angesehen hatte, distanziert sich in den 1930er Jahren zusehends und so endet tragisch, was eine Erfolgsgeschichte hätte sein können. Wie immer bei Rehn wird mit einem ganzen Bündel facettenreich gezeichneter Persönlichkeiten gearbeitet, deren Denken, Fühlen und Handeln die gesellschaftlichen Abläufe nachvollziehbar macht. Lesenswert!
Knaur Verlag, München 2017, 638 S., ISBN 978-3-426-51937-0, 9,99 €.
Günther Thömmes: Das Duell der Bierzauberer. Aufstieg der Bierbarone
Krieg kann man um alles Mögliche führen, auch um Bier. Denn damit ist, wie der Münchener Brauherr Gabriel Sedlmayr im Jahr 1800 feststellt, eine Menge Geld zu verdienen. Das tun aber nicht nur die als trinkfreudig bekannten Bayern, sondern auch die dem edlen Gerstensaft ebenfalls nicht abgeneigten Engländer. Sedlmayr, der mit Bewunderung feststellt, dass dort die Industrialisierung auch im Bereich des Bieres nicht nur Fortschritt, sondern vor allem auch Gewinn verspricht, möchte mit Hilfe eines Londoner Freundes und Bierbrauers die in England angewandten Methoden auch in Bayern etablieren. Doch dann kommt es erst zu einem Unglück und dann zu einem Streit, der in einen echten Industriekrieg ausartet. Thömmes präsentiert in dieser Auseinandersetzung alles, was dazugehört, von persönlichen Animositäten bis zur Industriespionage. Mit seinem Band setzt er die erfolgreiche, nicht nur von Bierfreunden genossene Serie fort.
Gmeiner Verlag, Messkirch 2017, 282 S., ISBN 978-38392-2017-7, 12,99 €.
Ulf Schiewe: Bucht der Schmuggler
Die Karibik ist von jeher ein Sehnsuchtsort und deshalb war es nur eine Frage der Zeit, bis die Autoren historischer Romane sich auch diese schöne Weltgegend vornehmen würden. Zum Glück für die Leser hat Ulf Schiewe sich in die geheimnisvollen Buchten von Hispaniola gewagt, um die dortige Schmugglerlandschaft unter die Lupe zu nehmen. Dort wurde im 17. Jahrhundert jeder Schmuggler aufgehängt. Aber nein, nicht jeder, nur die, die erwischt wurden. Und weil alle, die es versuchen wollten, stets dachten, dass ausgerechnet sie davonkommen würden, blieb der Nachwuchs der Schmugglergemeinschaft nicht aus. Manch einer derjenigen, die hier Waren unter den wachsamen Augen des Gouverneurs verschoben, hatte allerdings auch gute Gründe für seine gefährliche Nebentätigkeit. So wie Jan van Hagen, der junge Bremer Handelsherr, der im Schuldturm gelandet wäre, wenn ihm nicht die Flucht ins Abenteuer gelungen wäre. Wie Jans Geschichte ausgeht, lesen Sie am liebsten selbst. Schiewe kann schreiben, es lohnt sich.
Knaur Verlag, München 2016, 447 S., ISBN 978-3-426-51693-5, 9,99 €.
Nicole Steyer: Die Kunst des Teufels
Unverwundbar zu sein, wenigstens für einen Tag – welcher Landsknecht würde sich das nicht wünschen? Doch der Preis, den die Kämpfer in der Region Passau für diese Gunst zahlen sollen, ist hoch. Denn sterben sie dennoch, so gehört ihre Seele dem Teufel. Das jedenfalls steht auf einem Zettel zu lesen, der im Jahr 1620 unter den in der Nähe von Passau stationierten Soldaten kursiert. Eine ziemlich dumme Idee also, ein Versprechen abzugeben, bei dessen Nichterfüllung man ausgerechnet seine Seele verliert. Doch genau auf diesem Gedanken basiert der Plot von Nicole Steyers Roman. Warum ihr dieser logische Denkfehler nicht aufgefallen ist und sie ihre Protagonisten etwas so Dummes und Riskantes tun lässt, bleibt ein Rätsel. Teresa, die Protagonistin des Romans verliert jedenfalls ihren Bruder Rupert genau wegen dieses Zettels gleich im doppelten Sinne. Denn der junge Mann büßt bei einer Rauferei nicht nur sein Leben, sondern, wie sie glaubt, eben auch seine Seele ein, was sie in eine derart düstere Stimmung versetzt, dass sie ihrem Leben ebenfalls ein Ende setzen will. Doch glücklicherweise, denn sonst hätte der Roman an diese Stelle sein abruptes Ende gefunden, hält der junge Jesuitenschüler Christian sie vom Sprung in die Ilz ab. Logisch, dass dies die beiden miteinander verbindet. Ob das aber gut für Teresa ist oder sie es nun schon wieder mit dunklen Kräften zu tun bekommt, sollte jeder selbst lesen. Besonders überraschend ist das Ende aber nicht. Eher schon tragisch vorhersehbar.
Knaur Verlag, München 2016, 522 S., ISBN 978-3-426-51785-7, 9,99 €.
Maren Bohm: Die Rückkehr der Pilgerin
Wie sah das Leben der Menschen aus, die einen Kreuzzug überlebt hatten und mit mehr oder weniger ausgeprägten körperlichen und seelischen Wunden in ihre Heimat zurückkehrten? Schwierig, möchte man meinen, und das liegt nicht nur an dem, was man damals zwar fühlte, aber noch nicht posttraumatische Belastungsstörung nannte. Alice, die Kaufmannstochter, die 1099 am Weihnachtsabend wieder in Passau eintrifft, ist wund an Leib und Seele und sie hat ein Kind dabei, was die Wärme des ohnehin kühlen Empfanges weiter mindert. Und um ihr Alleinsein noch weiter zu verschärfen, hat Graf Bernhard von Baerheim, ihr heimlicher Geliebter, weil er sie für tot hielt, eine andere geheiratet. All das wird in einer Rückblende erzählt, denn im Prolog ist bereits klar, dass Bernhard in die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst hineingeraten und ermordet worden ist. Wie Alice diesen Verlust verkraftet und ob es ihr gelingt, ihr Leben wieder zu ordnen? Lesen Sie selbst. Genau wie der Vorgängerroman, der die Geschichte der Liebe zwischen Alice und Bernhard sowie den Kreuzzug thematisiert, ist auch dieser Band gut recherchiert, spannend und farbenreich erzählt. Eine lohnende Lektüre für alle, die gute Romane und die Zeit der Kreuzzüge lieben.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2016, 700 S., ISBN 978-3-8392-1909-6, 12,99 €.
Silvia Stolzenburg: Die Salbenmacherin und der Bettelknabe
Mit „Die Salbenmacherin und der Bettelknabe“ erzählt Silvia Stolzenburg den zweiten Teil der Geschichte der Salbenmacherin Olivera, die sich, nachdem sie ihre Heimat Konstantinopel verlassen musste, schließlich in Nürnberg niedergelassen hat. Der Roman kann auch dann mit Genuss gelesen werden, wenn man den ersten Teil der Geschichte nicht kennt, denn die wesentlichen Fakten werden in kurzen Rückblenden erzählt. Diesmal steht nicht nur Olivera, sondern auch der Waisenjunge Jona im Mittelpunkt, der sich als Bettler durchgeschlagen hat, bevor er von den Stadtwachen erwischt und zur Zwangsarbeit verurteilt wurde. Doch Jona kann fliehen und er scheint Glück im Unglück zu haben, als ein Bürger ihn aufnimmt und eine scheinbar unbedeutende Gegenleistung für Kost und Logis verlangt, deren Preis sich am Ende als lebensbedrohlich hoch erweist. Und auch Olivera und Götz haben keine Ruhe, denn Laurentz, Oliveras grausamer Mann und Götz Bruder, findet die beiden und es gelingt ihm beinahe, ihr Glück zu zerstören. Stolzenburg bietet wie immer gute Unterhaltung auf hohem Niveau, ihre Recherchen sind gründlich, die Details stimmen und wenn sie zugunsten des Plots manchmal von den Fakten abweicht, kann man im Nachwort lesen, wo und warum.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2016, 402 S., ISBN 978-3-8392-1910-2, 14,99 €.
Toby Clement: Krieg der Rosen. Winterpilger
Sie ist als die Rosenkriege bekannt geworden, die berühmte Auseinandersetzung zwischen den beiden Adelshäusern Lancaster und York, die im 15. Jahrhundert die Geschichte des englischen Königreiches prägte. Und natürlich geht es wie in jedem Krieg um Macht, Einfluss oder einfach darum, derjenige zu sein, der am Ende gewinnt. Auf der Strecke bleiben dabei die Schicksale am Rande. Außer man liest den flüssig geschriebenen Roman „Winterpilger“ von Toby Clement, der die Geschichte von Thomas, einem Mönch und Katherine, einer Nonne erzählt, die von ihm aus einer ziemlich gefährlichen Situation gerettet wird. Kein Wunder, dass die beiden sich dabei näherkommen. Leider hat Thomas bei dieser Gelegenheit Sir Rivens Sohn verletzt und deshalb geraten die beiden mächtig in Schwierigkeiten – und das nicht nur, weil sie aus dem Kloster fliehen müssen. Clement hat seit seiner Schulzeit eine Vorliebe für die Rosenkriege. Dennoch ist sein Roman kein aufgepepptes Geschichtsbuch, sondern nimmt die Epoche eher als Folie für die Geschichte von Katherine und Thomas. Er wird also eher den Lesern gefallen, die Freude an einer nett erzählten Beziehungsgeschichte haben, also solchen, die Historie light suchen.
Bastei Lübbe, Köln 2016, 766 S., ISBN 978-3-404-17304-4, 9,99 €.
Toby Clement: Krieg der Rosen. Königsblut
Königsblut ist der zweite Teil der neuen Reihe von Toby Clement über die Rosenkriege, die nicht ganz zu Unrecht den Fans von Rebecca Gablé und Bernhard Cornwell empfohlen wird. Die beiden Helden der Geschichte, die ehemalige Nonne Katherine und der ehemalige Mönch Thomas müssen sich schon seit langem mit jener rauen Wirklichkeit herumschlagen, die die Rosenkriege im 15. Jahrhundert zu einer so herausfordernden Zeit machten. Katherine ist immer noch als Mann verkleidet und lange Zeit ziemlich allein, da sie Thomas für tot hält. Doch der für immer verloren Geglaubte taucht wieder auf, lädiert und ohne Gedächtnis, aber Katherine erkennt er sogleich und auch sie selbst kann ihre Tarnung nicht ewig aufrecht erhalten. Zumindest nicht vor so aufmerksamen Augen wie denen von Payne, der ebenfalls ein Geheimnis mit sich herumträgt. Toby Clement ist nicht nur von Kindesbeinen an ein Fan der Epoche der Rosenkriege, er hat auch unzählige Bücher darüber gelesen und in zahlreichen Reenactments ausprobiert, wie es sich anfühlt, in seiner Traumzeit zu leben. Das Ergebnis seiner Recherchen überzeugt. Seine Bücher sind lebendig geschrieben und seine sympathischen Helden ziehen den Leser in den Bann.
Bastei Lübbe Verlag, Köln 2016, 622 S., ISBN 978-3-404-17438-6, 11,00 €.
Christian Lind: Die Medica und das Teufelsmoor
Mit „Die Medica und das Teufelsmoor“ erzählt Christian Lind die Geschichte von Aleke und Righert weiter. Die junge Frau hat Glück. Als eine der Wenigen darf sie in Salerno die Ausbildung zur Medizinerin machen und wagt dann gemeinsam mit Righert einen Neuanfang in Bremen, wo ihr Mann sich als Handelsherr niederlässt. Dass die weltoffenen Hanseaten keineswegs immer perfekt darin waren, Neubürger willkommen zu heißen, wird an den ersten Reaktionen gegenüber dem jungen und ambitionierten Paar deutlich. Denn es wird Aleke und Righert nicht leicht gemacht, sich in ihren Berufen zu etablieren. Als Righert dann auch noch bei einem Piratenüberfall verschwindet und Aleke sich auf die Suche nach ihrem Mann macht, steht das Glück der beiden erneut auf der Kippe. Lind schreibt einfühlsam, farbenreich und mit guter historischer Sachkenntnis. Ein perfekter Roman für alle, die vom Thema Medicus/ca nicht genug bekommen können und die Hansezeit lieben.
Atb Verlag, Berlin 2015, 444 S., ISBN 978-3-7466-3130-1, 9,99 €.
Heike Eva Schmidt: Die Spionin des Königs
Was für Frauen heute selbstverständlich ist – genau das Leben zu leben, dass sie wollen, den Beruf zu ergreifen, den sie sich aussuchen und den Mann oder die Frau zu heiraten, die sie lieben –, war im 18. Jahrhundert weitaus komplizierter. Und genau deshalb entschlossen sich manche von ihnen, ihr Leben als Mann zu führen. So wie Florentine, die von ihrem Vater ohnehin zu einer perfekten Fechterin erzogen worden war und der es deshalb nicht schwerfiel, diese Fertigkeit in den dafür geeigneten Kleidern, sprich Hosen weiter auszuüben. Als Florentin bringt sie es bis zur Rolle des Vertrauten von Friedrich II. und wird als Spion an den Zarenhof zu Katharina der Großen geschickt. Und dann kommt es, wie es kommen muss: Es wird kompliziert, weil Florentine sich verliebt. Wie das ausgeht, lesen Sie am besten selbst. Es lohnt sich, denn Heike Eva Schmidt schreibt unterhaltsam, flüssig und farbenreich. Ein schöner Roman für alle, die schon immer mal an den Zarenhof reisen wollten.
Knaur Verlag, München 2015, 607 S., ISBN 978-3-426-51469-6, 9,99 €.
Ocke Aukes: Friesenrebellion
Mit Inseln und ihren Bewohnern ist es so eine Sache. Sie bleiben gerne für sich und sie haben überhaupt nichts dafür übrig, wenn andere, Außenstehende, sich in ihre inneren Angelegenheiten einmischen. Deshalb sind auch die Einwohner von Borkum keineswegs amused, als plötzlich Kanonenschüsse ertönen. Sie fühlen sich nicht nur in ihrer verdienten Ruhe gestört, sondern mutmaßen gar, sie würden angegriffen. Doch die Franzosen, die im Jahr 1811 Salutschüsse abfeuerten, hatten weiter nichts im Sinn als die Ehre von Napoleon, dessen Geburtstag sie begingen. Doch auf Borkum stieg der Puls weiter, denn nach den Schüssen legten, um die geliebte Isolatio weiter zu stören, auch noch englische Schiffe an, deren Besatzung auf der Suche nach Deserteuren war. Ob Kommandant Henri Lebon seine Insulaner wieder in ihr gewohnt gleichmäßiges Leben zurückführen kann? Lesen Sie selbst, Ocke Aukes schreibt amüsant und farbenreich. „Friesenrebellion“ ist ein Muss für alle, die das 19. Jahrhundert und die Nordsee lieben.
Emons Verlag, Köln 2015, 268 S., ISBN 978-3-95451-651-3, 11,90 €.
Saga Grünwald: Auf der Fährte des Narren. Eine Elfen-Reise mit Bildern von Nora Huszka
Tarot, Kunst und Poesie ist die Mischung, die Grünwald und Huszka in diesem kleinen, wunderschön gestalteten Band präsentieren. Er basiert auf dem Gypsy Palace Tarot der Künstlerin Nora Huszka und wird hier kombiniert mit den poetisch verdichteten Erfahrungen, die Grünwald mit den 22 Arkana gemacht hat. Für jeden Tarot-Fan ein Muss, für alle anderen ein Genuss.
Starlight Dragon Press, Solingen 2015, 55 S., ISBN 978-3-946043-00-3, 9,90 €.
Kari Köster-Löscher: Tod auf der Hallig
Sönke Hansen und seine Frau Jorke haben inzwischen einen kleinen Sohn, Agge, und sind sehr zufrieden mit ihrem Leben in Husum, immer wieder einmal unterbrochen durch Ausflüge auf die Hallig, damit Jorke in ihrem Anwesen nach dem Rechten sehen kann. Diesmal ist auch Sönke mit von der Partie, denn es gilt, die aus Berlin angesichts der Einweihung des neuen Dammes angereisten Gäste zufriedenzustellen, zu deren Ehren die Halligbewohner ein Bikefeuer abbrennen werden. Sönke ist nicht begeistert, denn die Herren aus Berlin, die noch nie eine Schippe in der Hand hatten, haben ihm und seinem Vorgesetzten Petersen bereits jede Menge Ärger gemacht. Und dem Husumer Wasserbauinspektor schwant Übles, als er im Bikefeuer eine verkohlte menschliche Hand entdeckt. Möglichst unauffällig versucht er, den Täter zu ermitteln. Aber natürlich gerät Sönke dabei zwischen alle Stühle und am Ende bedroht der unbekannte Mörder sogar Jorke und Agge. Ein spannender, wie immer ausgezeichnet recherchierter neuer Fall aus der zu Recht beliebten Sönke Hansen Reihe! Lesenswert!
Knaur Verlag, München 2015, 359 S., ISBN 978-3-426-51508-2, 9,99 €.
Ines Thorn: Satanskind
Wer Ines Thorns Frankfurt-Krimis kennt, weiß, dass sie schon mal Themen wie die der Verfolgung von Menschen aufgreift, die das Pech haben, unterschiedliche Augenfarben zu haben. Warum der vorliegende Krimi aber Satanskind heißt, erschließt sich dem Leser nicht wirklich. Denn in ihm geht es um den Mord an einer Geldwechslerin, der auf eine Reihe ausgerechnet während der Herbstmesse entdeckten beschnittenen Münzen folgt, deren Auftauchen zu untersuchen der Schultheiß Richter Blettner beauftragt hat. Der muss sich außer mit dieser und anderen Lästigkeiten wie immer auch noch mit seiner wirklich nervigen Frau herumschlagen und ist deshalb keineswegs um Amt oder Privatleben zu beneiden. Sprachlich changiert Thorn wie immer zwischen einem etwas altertümlichen Ton und moderneren Einsprengseln. Ihre Geschichte ist eher atmosphärisch als historisch überladen – eine leichte Lektüre für alle, die Frankfurt, seine Geschichte und Krimis lieben.
Rororo, Hamburg 2015, 300 S., ISBN 978-3-499-26774-1, 9,99 €.
Jonathan Freedland: Intervention
Für Dr. James Zennor bricht eine Welt zusammen, als er eines Morgens von seinem täglichen Rudertraining kommt und entdeckt, dass seine Frau Florence und sein Sohn Harry verschwunden sind. Er will einfach nicht glauben, was Freunde und Bekannte ihm klarmachen wollen, dass seine Frau vor allem vor ihm geflohen ist, um ihren kleinen Sohn in Sicherheit zu bringen. Dabei spricht einiges dafür, dass genau dies der Fall ist, denn James, der im spanischen Bürgerkrieg als Freiwilliger mitgekämpft hat, ist zutiefst traumatisiert, seit sein Freund Harry vor seinen Augen erschossen und er selbst verwundet worden ist. Sein Alkoholkonsum hat, wie er sich selbst nur mühsam eingesteht, das Maß des Normalen schon lange überschritten und die Kontrolle über seine Wutanfälle hat er ebenfalls längst verloren. Dennoch will James nicht akzeptieren, dass er seine Familie für immer verloren hat. Deshalb sucht er die Spur von Florence und findet heraus, dass sie gemeinsam mit anderen Müttern und Kindern aus Oxford nach Amerika gegangen ist. Doch was er in Yale vorfindet, ist weit mehr als emigrierte Kinder. Er stößt vielmehr auf ein geheimnisvolles Netzwerk von Eugenikern, die offenbar vorhaben, die Elite von Oxford und schließlich ganz England in ein Forschungslabor für ihren Traum von der Zucht des idealen Menschen zu machen. Und plötzlich geht es um weit mehr als um James‘ persönliches Glück. Jonathan Freedland ist einer der renommiertesten Journalisten Großbritanniens und erweist sich in „Intervention“ auch als fesselnder Thrillerautor. Er zeigt Facetten in der englischen Geschichte der 1940er Jahre, die wenig zum Image der freiheitsliebenden Nation passen. Sozialisten, die plötzlich davon überzeugt sind, dass in ihrer schönen neuen Welt nur die Intelligenten und Fitten einen Platz haben und dabei eine gefährliche Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut entwickeln. Ein ebenso spannendes wie lehrreiches Buch!
Fischer/Scherz Verlag, Frankfurt a. M. 2014, 512 S., ISBN 978-3-651-00057-5, 16,99 €.
B. Erwin/ U. Buchhorn: Die Farben der Freiheit
In ihrem neuen Roman entführt das Autorenduo Birgit Erwin und Ulrich Buchhorn die Leser in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Gedanke der Demokratie treibt viele Menschen um. Auch der Student Joseph Victor von Scheffel ist ein begeisterter Anhänger der neuen Ideale. Gemeinsam mit seinen Studentenfreunden schmiedet er Pläne und gründet (damals noch verbotene) Burschenschaften. Sein Studium verläuft genauso, wie man sich das für diese Zeit vorstellt. Inspirierende Gespräche unter Freunden, lange Wanderungen durch den Odenwald und nur ein Minimum an Zeit wird den recht drögen juristischen Vorlesungen gewidmet. Joseph und seine Freunde haben das Gefühl, direkt am Puls der Zeit zu leben und möchten um nichts in der Welt die wichtigen Vorgänge rund um die Paulskirche verpassen. Doch dann mehren sich die Schwierigkeiten. Nicht nur, dass Josephs Vater, der gestrenge Major von Scheffel unangemeldet in Heidelberg auftaucht und seinen Sohn unmissverständlich an seine eigentlichen Pflichten erinnert. Einer seiner Freunde, Max Fuß, reiht sich in die Schar derjenigen ein, die im Namen ihrer Ideale auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken. Das ist nicht Josephs Weg und er muss sich bald entscheiden zwischen der Treue zu seinen Freunden, seinen Idealen und der Frage, wie mit deren Entzauberung in der realen Wirklichkeit umzugehen ist. Erwin/Buchhorn ist es mit ihrem neuen Roman gelungen, ein spannendes, farbenprächtiges Stück Zeitgeschichte lebendig werden zu lassen, denn der Protagonist ihres Romans Joseph von Scheffel ist eine historische Persönlichkeit. Die Autoren haben für ihr Buch seine Lebensgeschichte, erzählt von seiner Urenkelin Vera-Maria geb. Freiin von Reischbach-Scheffel, und eine Unmenge historischer Daten ausgewertet. Sehr lesenswert!
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2013, 396 S., ISBN 978-3-8392-1349-0, 12,99 €.
Sandra Lessmann: Die Kurtisane des Teufels
Als Kittys Eltern an den Pocken gestorben sind, sieht die junge Frau keinen anderen Ausweg, als ihrem Bruder nach London zu folgen. Doch als sie in der Metropole angekommen ist, muss sie feststellen, dass er kurz zuvor wegen Diebstahls gehängt worden ist. Kitty kann nicht glauben, dass er die Verbrechen, die man ihm zur Last legte, begangen hat. Deshalb sucht sie Jonathan Wild auf, der angeblich das Diebesgesindel in Schach hält und wird wenig später Opfer eines Anschlags. Nur durch das beherzte Eingreifen Daniel Gascoynes wird sie gerettet. Kitty verliebt sich in den jungen Mann, wird schwanger und wenig später ist Daniel verschwunden. Die junge Frau schlägt sich als Hökerin durch, bettelt, verdingt sich tageweise als Magd und versucht mit aller Kraft sich und ihre Tochter Helen über die Runden zu bringen. Doch die Spirale der Armut führt nur in eine Richtung. Deshalb greift Kitty zu, als sie das Angebot erhält, als hochbezahlte Kurtisane zu arbeiten. Und sie hat Erfolg. Die Adeligen Londons liegen ihr zu Füßen. Doch auch ihr neuer Beruf ist nicht ungefährlich. Die selbsternannten Sittenwächter versuchen immer wieder, die gut getarnten Bordelle aufzulösen und die Frauen, die dort arbeiten, zu inhaftieren. Lessmanns neuer Roman spielt wieder in London, einer Stadt, in der die Autorin sich in Vergangenheit und Gegenwart wie in ihrer Westentasche auskennt. Die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts werden in farbenprächtigen Bildern geschildert, ihre Charaktere sind facettenreich gezeichnet und die Geschichte bleibt bis zum Schluss spannend. Lesenswert!
Knaur Verlag, München 2013, 418 S., ISBN 978-3-426-50981-4, 9,99 €.
Thomas Hoech: Dem Himmel verfallen. Ein Kepler Roman
Wie kommt ein Mensch dazu, sein irdisches Leben dem Himmel zu widmen? Bei Joahnnes Kepler war es ein Komet, den er eines Nachts beobachtete und der ihn so beeindruckte, dass er fortan, wie der tiefgründige, poetisch geschriebene Roman von Thomas Hoech es nennt, dem Himmel verfallen ist. Wenn man bedenkt, dass Keplers Mutter eine Anklage als Hexe über sich ergehen lassen musste und der junge Johannes Zweifel daran aufkommen ließ, dass er an das von der Kirche für wahr gehaltene geozentrische Weltbild glaubte, war das keine leicht zu nehmende Angelegenheit. Hoechs Konzept, die Jugendjahre Keplers zum Thema zu machen, geht uneingeschränkt auf. Das Einzige, was man sich nach der Lektüre dieses spannenden, facettenreichen Buches wünscht, ist, dass er die Geschichte weiter erzählt.
Silberburg Verlag, Tübingen 2012, 444 S., ISBN 978-3-8425-1213-9, 14,90 €.
Marlene Klaus: Das Buch des Kurfürsten
Das Leben von Hedwig und Philipp Eichhorn scheint vollkommen. Sie hat eine gute Arbeit bei dem freundlichen und liebenswürdigen Tuchhändler Belier, er ist Knecht in der Kanzlei des Kurfürsten. Nichts scheint ihr Glück mehr trüben zu können, als ihre kleine Tochter Juliana geboren wird. Doch dann werden Hedwig und ihr Baby entführt. Philipp ist verzweifelt, denn zur Angst um seine Frau kommt die Gewissheit, dass es in seinen Händen liegt, ihre Freiheit zu erwirken. Doch um welchen Preis! Er soll aus der Kanzlei des Kurfürsten ein Buch „ausleihen“, in dem der Besitz der kurfürstlichen Gefolgsleute gelistet ist, und es unbeobachtet wieder an seinen Platz zurückbringen. Natürlich stiehlt Philipp das Buch, aber zum Rückgabetermin erscheinen die Entführer nicht und Philipp selbst gerät in höchste Gefahr, denn seine Lügen werden schnell durchschaut, und zu allem Übel wird er nun sogar selbst verdächtigt, Hedwig und Juliane etwas angetan zu haben. Seine Frau und seine Tochter konnten unterdessen fliehen, doch es ist fraglich, ob und wann die kleine Familie wieder in Frieden zusammenleben kann. Durch Marlene Klaus‘ unprätentiösen Erzählstil und die sympathisch unkomplizierten Protagonisten findet man sich schnell in die Geschichte und in das Heidelberg des Jahres 1595 ein. Eine spannende Lektüre für zwischendurch.
Dryas Verlag, Frankfurt 2012, 424 S., ISBN 978-3-940855-35-0, 13,50 €.
Christoph W. Gortner: Die florentinische Prinzessin
Caterina di Medici ist noch ein junges Mädchen, als sie zunächst als Geisel genommen, unter der strengen Obhut der Florentiner Nonnen zu Schwerstarbeit gezwungen wird, fast verhungert und schließlich nach Frankreich gebracht wird, um dort den Kronprinzen zu heiraten. Kein glückliches Leben, vor allem, wenn man bedenkt, dass ihr Mann keinen Zweifel daran lässt, dass er sich weder von seiner Liebhaberin zu trennen, noch deren Bestrebungen, Caterinas und das Leben der in dieser Ehe von zweifelhafter Qualität geborenen Kinder zu dominieren, zu behindern gedenkt. Dass die Italienerin sich in ihrer fremden Umgebung dennoch inkulturiert, ein Netzwerk webt, das es ihr ermöglicht, eigenständige Entscheidungen zu treffen und schließlich sogar die Achtung ihres inzwischen König gewordenen Mannes zu gewinnen, ist Zeichen ihrer beispielhaften persönlichen Stärke. Mit der „Florentinischen Prinzessin“ ist Gortner nicht nur ein farbenprächtiger historischer Roman, sondern zugleich auch eine ausgezeichnete psychologische Studie der Verhältnisse am französischen Hof des 16. Jahrhunderts gelungen. Lesenswert!
Goldmann Verlag, München 2011, 562 S., ISBN 978-3-442-47541-4, 9,99 €.
Elizabeth Loupas: Die zweite Herzogin
Barbara von Habsburg ist eine selbstbewusste Frau, nicht besonders gutaussehend, das weiß sie, aber entschlossen, in der Welt zu leben und sich nicht wie ihre Schwestern still und praktisch hinter Klostermauern verstauen zu lassen. Deshalb wehrt sie sich nicht, als sie mit Alfonso d´Este, dem Herzog von Ferrara verheiratet wird, obwohl sie wohl weiß, dass der seine erste Frau, die junge, überaus schöne Lucrezia Borgia ermordet haben soll. Ihr neues Umfeld macht es Barbara nicht leicht. Schon auf dem Weg zur ersten offiziellen Begegnung mit dem Herzog teilt man sie ihr eine Kammerdienerin zu, die mit viel Phantasie über die möglichen Methoden der Ermordung der zweiten Herzogin wispert, während sie ihr Perlenschnüre ins Haar flicht. Doch Barbara ist stark. Sie lässt sich auf das Spiel ein, nimmt den Kampf auf und findet außerdem heraus, was wirklich mit der ersten Frau Alfonsos passiert ist. Loupas kann schreiben, sie zieht ihre Leser direkt in die Geschichte hinein. Ihre Figuren haben Tiefenschärfe und man merkt ihnen an, dass die Autorin sich viel Zeit genommen hat, sie genau kennenzulernen. Die überraschenden Wendungen in der Präsentation mancher Charaktere lassen sich schlüssig aus den Quellen erklären. Alles in allem ein ausgezeichneter Roman – unterhaltsam und informativ.
Rororo, Hamburg 2011, 441 S., ISBN 978-3-499-25517-5, 9,99 €.
Corinna Bomann: Das Krähenweib
Es ist eine beinahe unglaubliche Karriere, die Corinna Bomann in ihrem Roman „Das Krähenweib“ schildert, denn Annalena Habrecht ist die Tochter eines Henkers. Als Unehrliche hat sie von frühester Kindheit an gelernt, was es heißt, nicht dazuzugehören. Und ihr gewalttätiger Ehemann trägt auch nicht gerade dazu bei, ihr das Leben zu erleichtern. Als sie eines Nachts nach einer Prügelattacke einfach wegläuft, hätte dies das Ende sein können. Aber es wird das genaue Gegenteil, der Anfang eines neuen, besseren Lebens, in dem sie zunächst nach Berlin flieht, eine Anstellung als Magd findet und sich in den Apothekerlehrling Johann Böttger verliebt, der aber leider außer an Annalena auch an der Alchemie hängt, deren Ausübung ihm eine Besichtigung der Kerker Dresdens von innen und Annalena einen Posten bei Hofe beschert, denn sie will ihren Johann natürlich unbedingt freibekommen. Bomanns Stil ist schnörkellos, direkt und sehr lebendig. Wer mit dem Lesen begonnen hat, will nur eines, weiterlesen.
Knaur Verlag, München 2010, 518 S., ISBN 978-3-426-66315-8, 8,94 €.
Heidi Rehn: Die Wundärztin
Wer einen Einblick in das Alltagsleben eines Trosses mitten im Dreißigjährigen Krieg gewinnen möchte, ist bei Heidi Rehn genau richtig. Sie informiert nicht nur über Operationsmethoden und Heilbehandlungen, wenn sie ihre Protagonistin Magdalena, die bei Feldschermeister Johann ihr nicht selten blutiges Handwerk gelernt hat, durch die Reihen der Verwundeten gehen lässt, sie zeigt auch das Alltagsleben inmitten des Krieges. Und natürlich lässt sie uns an den Irrungen und Wirrungen der großen Liebe Magdalenas zu Eric teilhaben, der sie einst aus einem brennenden Haus gerettet hat und den sie gegen den Willen ihres Vaters, eines Söldners, nicht mehr aus den Augen und ihrem Leben lassen will, obwohl er auf der anderen Seite des Schützengrabens zuhause ist. Rehns lebendiger Erzählstil macht auch diesen Roman zu einer willkommenen Gelegenheit zu einer kleinen Zeitreise zwischendurch und lässt die facettenreiche politische und militärische Lage ebenso lebendig werden wie die Liebe zwischen Magdalena und Eric.
Knaur Velrag, München 2010, 684 S., ISBN 978-3-426-50537-3, 8,95 €.
Jean-Claude Hauser: Rückzug – Zeit des Aufbruchs
In sechs Briefen, die ein Zisterziensermönch an seinen Bruder schreibt, lässt Jean-Claude Hauser den Geist des bernhardinischen Zeitalters lebendig werden. Tatsächlich ist Bernhard von Clairvaux immens prägend für seine Zeit gewesen und die Briefe, die Hauser hier kreiert, sind ein lebendiger Spielegel dessen, wie Menschen versuchten, auf den Spuren dieses Feuergeistes zu wandeln und ihr Leben nach den neuen, die Regel Benedikts wieder auf ihre Wurzeln zurückführenden Zisterzienserregeln zu leben. Aus dem sorgsam gewebten Geflecht der Kommunikation beider Brüder entsteht ein romanhafter Einblick, der völlig natürlich und unprätentiös wirkt. Das ruhige Erzähltempo greift den Puls der Zeit auf, ohne dass die auch im 12. Jahrhundert wirksamen menschlichen Wünsche und Sehnsüchte deshalb weniger wirkmächtig wären. Lesenswert!
Bernardus Verlag, Mainz 2008, 92 S., ISBN 978-3-8107-9288-4, 6,95 €.
Rezensentin dieser Lesetipps: Dr. Barbara Stühlmeyer